đ©ș Was ich als NotĂ€rztin ĂŒber innere Ruhe gelernt habe
đ 1. Zwischen Himmel und Einsatz
Der Rotor schlĂ€gt gleichmĂ€Ăig gegen den Himmel.
Ein Klang, der fĂŒr viele den Herzschlag der Unruhe bedeutet â fĂŒr mich ist er inzwischen fast wie ein Atemrhythmus geworden.
Jede Umdrehung trĂ€gt mich ein StĂŒck nĂ€her an einen Ort, an dem Sekunden ĂŒber Leben und Tod entscheiden.
Und doch ist es genau dort, inmitten des Sirenentons, der FunksprĂŒche, der flirrenden Luft, wo ich die feinsten Nuancen von Ruhe spĂŒre.
Es gibt einen Moment kurz vor der Landung, wenn der Helikopter tiefer sinkt und die Luft dichter wird.
Vor der Landung verengt sich der Fokus automatisch â auf Hindernisse, Windrichtung, Kommunikation.
Alles andere tritt zurĂŒck.
Ich spĂŒre, wie die Aufmerksamkeit schmaler wird, nicht enger, sondern prĂ€ziser.
Dann halte ich fĂŒr einen Atemzug inne.
Nicht, weil ich es mir leisten kann, sondern weil ich es muss.
In diesem winzigen Zwischenraum â zwischen Himmel und Erde, zwischen Adrenalin und Entscheidung â entsteht Stille.
Kein metaphysischer Friede, keine Meditation, nur eine Art inneren Sortierens.
Ich nenne es den Moment vor dem Sturm â jenen Sekundenbruchteil, in dem alles still wird, weil gleich alles zĂ€hlt.
Viele stellen sich den Beruf des Notarztes als endlose Kette aus Chaos und Einsatz vor â und manchmal haben sie recht.
Aber sie ĂŒbersehen, dass man in dieser Kette nur bestehen kann, wenn man den eigenen Atemrhythmus kennt und steuert.
Wenn man gelernt hat, sich im Sturm zu verankern.
Ruhe ist hier keine Tugend, sie ist Ăberlebensstrategie â fĂŒr die Patientin, aber auch fĂŒr mich selbst.
Eines Tages, kurz nach Weihnachten.
Klares Winterlicht ĂŒber den Bergen, ein Hauch von eisigem Schnee, der in der Sonne glitzert.
Wir wurden zu einem Einsatz im Gebirge gerufen â zwei Schneeschuhwanderer waren ins Rutschen gekommen.
Die Frau war rund hundert Meter den Hang hinabgestĂŒrzt, körperlich erstaunlich glimpflich davongekommen, aber völlig von Angst erfasst.
Wir entschieden uns fĂŒr eine Windenrettung.
WĂ€hrend wir sie erreichten, stand sie auf einem winzigen Absatz, kaum Platz fĂŒr zwei Menschen.
Als ich neben ihr landete, wollte sie sich sofort an mich klammern â Reflex, Verzweiflung, Erleichterung, alles zugleich.
Ein einziger unbedachter Griff hÀtte uns beide in Gefahr gebracht.
Ich legte meine Hand leicht auf ihre Schulter und sagte mit ruhiger Stimme:
âWarten und tief Atem holen.â
Nicht als Befehl, sondern als Halt.
Sie tat es.
Langsam, spĂŒrbar.
Und erst in diesem gemeinsamen Atem entstand genug Ruhe, um sie sicher zu sichern, Schritt fĂŒr Schritt, bis der Haken griff und der Helikopter uns beide hinaufzog.
Ruhe ist ansteckend.
Genauso wie Unruhe.
Und in der Luft, wo alles schneller geschieht, ĂŒbertrĂ€gt sich beides in Sekunden.
Der Körper reagiert, bevor der Verstand sortiert.
Man spĂŒrt es im Puls, in der Atmung, in den Schultern, die sich unmerklich heben.
Das Bewusstsein arbeitet wie eine feine Kamera, die zwischen Zoom und Weitwinkel pendelt.
Ich habe gelernt, diesen Wechsel bewusst zu fĂŒhren.
Nicht alles zu sehen, sondern das Richtige.
Nicht alles zu fĂŒhlen, sondern das Wesentliche.
Es gibt eine eigenartige Schönheit in diesen EinsÀtzen.
Nicht, weil sie heroisch wĂ€ren â das sind sie nicht.
Sondern weil sie das Leben in seiner nackten IntensitÀt zeigen.
In einem Moment ringt jemand um sein Leben, im nĂ€chsten bricht Sonnenlicht durch eine WolkenlĂŒcke.
Das Licht fĂ€llt weiter â egal, was geschieht.
Ich glaube, genau dort beginnt das, was ich heute innere Ruhe nenne:
Nicht die Abwesenheit von LĂ€rm, sondern die FĂ€higkeit, ihn durch sich hindurchflieĂen zu lassen, ohne mitzufliegen.
đżÂ 2. Die Lektion der inneren Stille
Wenn der Einsatz vorbei ist, die Maschine sinkt, wir gemeinsam tanken, auffĂŒllen und aufrĂ€umen, wird es innerlich still.
Kein Triumph, kein Aufatmen â nur dieses Nachhallen im Körper.
Das Adrenalin fĂ€llt, und fĂŒr einen Moment spĂŒre ich jedes Gewicht: den Helm, die HĂ€nde, die Luft.
Ruhe fĂŒhlt sich dann nicht friedlich an, sondern notwendig.
In dieser Stille merke ich, wie der Körper noch spricht.
Er erinnert sich an jeden Griff, an jede Spannung, an alles, was sich nicht auflösen konnte, wofĂŒr es noch keinen Ort gibt.
Und was er braucht, ist keine Kontrolle â sondern Antwort.
Manchmal sitze ich noch einen Moment in der Kabine, wĂ€hrend drauĂen das NachglĂŒhen des Tages liegt.
Ich höre die RotorblĂ€tter auslaufen, sehe die Spur der Sonne ĂŒber den Instrumenten.
Alles bewegt sich weiter, nur ich halte kurz inne.
Da spĂŒre ich, dass Ruhe kein Zustand ist, sondern eine Bewegung nach innen.
In der Luft habe ich gelernt, was viele auf dem Boden suchen: PrÀsenz.
Sie hat nichts mit Perfektion zu tun.
PrĂ€senz bedeutet, da zu sein, wenn es zĂ€hlt â fĂŒr andere, fĂŒr sich.
Sie entsteht nicht aus Kontrolle, sondern aus Vertrauen.
Ăber den Wolken wird Demut körperlich.
Man begreift, wie wenig man steuert und wie viel man dennoch halten kann â einfach vertraut.
Ich habe aufgehört, Ruhe mit Kontrolle zu verwechseln.
Ruhe heiĂt nicht, alles im Griff zu haben.
Ruhe heiĂt, zu bleiben, wĂ€hrend alles gleichzeitig geschieht.
Wenn ich Menschen in der Hypnose begleite, erkenne ich diese Bewegung wieder.
Auch dort geht es um Loslassen und Wahrnehmen.
Der Atem verlangsamt sich, der Körper erinnert sich an Sicherheit.
Dasselbe Prinzip â nur in anderem Licht.
Innere Ruhe entsteht nicht, wenn alles still ist.
Sie entsteht, wenn wir uns selbst zuhören.
Wenn wir dem Körper erlauben, wieder Vertrauen zu fassen.
Er weià lÀngst, wie das geht.
Manchmal, wenn ich spÀt abends lande, schaue ich noch einen Moment in den Himmel.
Das Licht der Maschine blinkt in der Dunkelheit.
Dann denke ich: Ich habe inmitten der Geschwindigkeit etwas gefunden, das sich nicht bewegt.
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Vielleicht ist das Ruhe â nicht Abwesenheit, sondern ein Ort, an dem man bleibt, auch wenn alles weitergeht.Â
Manchmal gelingt es, diesen Ort zu halten â fĂŒr eine Patientin, fĂŒr ein Teammitglied, fĂŒr mich selbst.Â
Dann weiĂ ich: Genau dafĂŒr bin ich hier.
Dr. med. Laila Schmidt
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